Peter Novak interviewt Hermann Josef Hack am 11. Oktober 2017
Weltklimakonferenz COP 23: Der Weg zur globalen Verwandlung führt an Bonn vorbei
Peter Novak (PN): Herr Hack, Ihr neuestes Projekt wollen Sie zur Weltklimakonferenz COP 23 starten. Was kann ich mir darunter vorstellen?
Hermann Josef Hack (HJH): Ich will die Klimakonferenz für alle öffnen und dabei herausfinden, was die Leute auf der Straße bewegt. Schließlich tagen über zweitausend Delegierte aus aller Welt in einem hermetisch abgeschlossenen Elfenbeinturm und feilschen darum, wer am wenigsten von seinem Besitz und Lebensstil aufgeben muss, damit die anderen dafür sorgen, dass die Klimakatastrophe möglichst eingedämmt wird. Ich weiß, das klingt hart, wenn man aber die zig Konferenzen der letzten Jahre beobachtet hat, dann stehen die Ergebnisse in keinem Verhältnis zur Notwendigkeit konsequenten Handelns. Übrigens ist jetzt amtlich, dass auch die Bundesrepublik, die sich gern als Musterknabe in der Klimapolitik darstellt, ihre Klimaschutzziele deutlich verfehlen wird (32 statt 40 Prozent Reduktion).
PN: Da wollen Sie mit Ihrer Aktion gegensteuern…
HJH: Zumindest will ich möglichst viele Menschen einladen, sich ihre eigenen Gedanken zu machen und sie anderen mitzuteilen.
PN: Sie sind Künstler, nicht Delegierter der Klimakonferenz.
HJH: Meines Wissens befindet sich unter den zweitausend Delegierten kein einziger Künstler, der dort seine Kunst am Verhandlungstisch ausübt. Genau das ist ja das Problem. Bis heute glaubt man nämlich noch, man könne das Thema Klimawandel allein den Naturwissenschaftlern und Soziologen, die Aufteilung der damit erwachsenden Rechtsfragen den Juristen und die Umsetzung den Politikern überlassen. Was noch nicht angekommen ist: Unser Umgang mit dem Klimawandel ist in erster Linie eine kulturelle Frage. Daraus folgt, dass jetzt endlich Experten aus dem Bereich Kultur hinzugezogen werden müssen. Es ist nie zu spät, die Zeit drängt, wir haben keine Wahl. Aber auch dieses Mal in Bonn wurde die Chance vertan.
PN: Haben Sie sich denn nicht für das künstlerische Beiprogramm beworben, auf das die Stadt Bonn so stolz ist?
HJH: Die Stadt Bonn hat ein kompliziertes Auswahlverfahren ins Leben gerufen, um im Vorfeld beeinflussen zu können, was an künstlerischen Positionen im Sinne der Ausrichter vorzeigbar ist. Da konnte sich jeder bewerben und – natürlich ohne dafür entlohnt zu werden – für ein möglichst buntes Rahmenprogramm sorgen. Im Umfeld des Städtischen Kunstmuseums hat man sich weg vom Allerweltsniveau auf elitärem Level mit einer Art-Consulting-Agentur, die bereits auf den vergangenen COPs angeheuert wurde, ein Beiprogramm geschaffen, das sicher gute Ansätze verfolgt, aber bei genauer Betrachtung nicht auf Augenhöhe der Konferenzteilnehmer operieren darf. Es werden lediglich einige Ergebnisse aus den Projekten ausgewählt, die nach der Konferenz Eingang in die untere Ebene des riesigen Verwaltungsapparates finden werden. Beteiligung sieht anders aus. Natürlich habe ich mich nicht an diesem Verfahren beteiligt, weil ich es unter der Würde eines freien Künstlers finde. Aber es finden sich immer Künstler, die sich davon Vorteile versprechen und ja auch mit einer weiteren Beteiligung im Beiprogramm belohnt werden. Am schlimmsten finde ich, dass die Künstler ihre Rolle nicht selbstbewusst bestimmen, sondern sich servil den Zeremonienmeistern der Konferenz unterwerfen.
PN: Sie werden also nicht in Bonn zu sehen sein.
HJH: Nein, ich habe für mein Projekt die Stadt gewählt, die den ICE-Bahnhof für Bonn stellt: Siegburg, Kreisstadt des Rhein-Sieg-Kreises, der an Einwohnern noch zahlreicher ist als die Ex-Bundeshauptstadt.
PN: Hier befindet sich auch Ihr Atelier.
HJH: Richtig, hier nutze ich die lokalen Vorteile beim globalen Denken. Vor allem besteht hier nicht die Gefahr, dass meine Aktion im Grundrauschen des allgemeinen Rummels, den auch die Kunst-Side-Events mitverursachen, untergeht. Schließlich gibt es auch so etwas wie green washing im Bereich der Bildenden Künste, mit dem sich die Veranstalter den Anschein von kulturellem Engagement geben, während sie die Kunst von allen wirklich relevanten Punkten ausschließen. Und die Kunst macht ihnen das auch noch für umsonst. Mit Ausnahme natürlich der Consultants, die lassen sich bezahlen.
PN: Ihr Projekt in Siegburg heißt „Globale Verpuppung“. Was verbirgt sich hinter diesem spannenden Namen?
HJH: Wir befinden uns alle in einer Zeit großer Veränderungen, der größten und möglicherweise für uns Menschen endgültigen, wenn man die Auswirkungen des Klimawandels betrachtet. Es liegt an uns, ob wir uns passiv ausliefern oder diese Veränderung selbst gestalten. Kunst erweitert das Bewusstsein, bereitet den Weg für Veränderung. Mein Projekt „Globale Verpuppung“, der ursprüngliche Name ist „Nymphose Globale“, da ich es zu Beginn dieses Jahres in Frankreich gestartet habe, lädt alle ein, auszudrücken, was für sie persönlich der Klimawandel bedeutet. Wie sehe ich mich in dieser globalen Veränderung? Hat das etwas mit mir zu tun? Was macht es mit mir? Wie kann ich Einfluss nehmen? Werde ich aktiv oder lasse ich mich treiben? Wie erkläre ich das meinen Nachkommen? Sie sehen, es gibt zahlreiche Fragen, die gestellt werden wollen. Wer, wenn nicht die Kunst, ist in der Lage, das zu kommunizieren?
Ich befestige rechteckige Bildträger aus Zeltplane, die vorher bemalt werden, an einer Ecke, so dass sie wie eine Insektenpuppe herunterhängen. In diesem Fall an jeden einzelnen Baum auf dem Marktplatz sowie auf dem Weg vom ICE-Bahnhof bis zum Marktplatz in Siegburg. Die Passanten sind eingeladen, die Bilder auseinanderzufalten, zu betrachten und mit ihren eigenen Äußerungen zu beschriften bzw. zu zeichnen oder zu bemalen, also eine private Form von Graffiti im Kleinen auszuüben.
PN: Was ist der Unterschied zu den großen Graffitis?
HJH: Hier ist jeder eingeladen, sich zu äußern, nicht nur Leute, die sich als Künstler ein Denkmal setzen wollen. Es handelt sich um ein Kommunikationsprojekt für alle. Im Gegensatz zur Graffiti ganz legal.
PN: Sie haben auch Schülerinnen und Schüler beteiligt.
HJH: Diejenigen, welche die Folgen unseres derzeitigen Handelns bzw. Nichthandelns am meisten ausbaden werden, gehen noch zur Schule. Sie möchte ich gerne ermutigen, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und die passive ältere Generation, die sehenden Auges die katastrophalen Folgen des Klimawandels in Kauf zu nehmen scheint, wachzurütteln. Die Schüler/innen sind es auch, die im zweiten Schritt die Statements der Passanten dokumentieren, bevor sie diese mit ihren eigenen Statements kommentieren.
PN: Das Projekt geht also noch über die Klimakonferenz hinaus?
HJH: Genau, wenn alle Delegierten wieder abgereist und die Klimakaravane zum nächsten COP-Gipfel unterwegs sein werden, wenn Bonn wieder in der bräsigen Provinzstarre zurückgelassen ist, werden die Beiträge ausgewertet und von den jungen Menschen überarbeitet.
PN: Und was geschieht dann mit den Arbeiten?
HJH: Die Globalen Verpuppungen werden zunächst in der Siegburger Rhein-Sieg-Halle in einer Ausstellung gezeigt, bevor sie dann in weiteren Städten gezeigt und der dortigen Öffentlichkeit zur weiteren Mitgestaltung angeboten werden. Weitere Schulen im Kölner Raum werden sich beteiligen. Ich beabsichtige aber auch, das Projekt in anderen Ländern weiter zu führen, so dass immer mehr Verpuppungen entstehen, um die Menschen zur Beteiligung zu ermuntern.
PN: Vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg.
HJH: Ich danke Ihnen.
Abb.: Hermann Josef Hack, CLIMATE ENGINEERING, 171013, Malerei auf Zeltplane, 298 x 224 cm, 2017